„Die Zelle“ Galerie Forum K

Lautatio Alexander Neumann

Es ist wunderbar, wenn die Kunst ein poetischer Kommentar zum Leben sein kann, wenn man mit dem Künstler gemeinsam auf eine schöpferische Reise geht,  so wie der Dichter Dante, der mit Vergil die Hölle überlebt, das Fegefeuer durchstreift um schließlich den Himmel zu erreichen, die Liebe.

In der „Göttlichen Komödie“ leuchten nach den Abenteuern immer wieder die Sterne, sie weisen den Weg, werden zum Leitmotiv. Die vertikale Ordnung allen Seins:  das irdische Leben als Aufgabe, das Geistige als Notwendigkeit und die Liebe als Lohn, wird immer die Hauptausrichtung  des Menschen bleiben. Darin haben Drangsale, Täuschungen und Enttäuschungen ebenso Platz, wie Träume, Hoffnungen und das Glück. Die Künste in ihrem Reichtum, sind ein ständiger Begleiter, man kann sie weder Herbeirufen noch kann man sie Wegschicken. Sie sind wie Wasser und Brot unverzichtbar.

Als Kollege und Vertrauter von Thomas Beurich hatte ich Gelegenheit in die schöpferischen Gefüge  seiner Kunst zu schauen, seine Offenheit und Bestürzung zu sehen. Sicherlich, kein Künstler wird je von sich behaupten können, der Weisheit letzten Schluss auf die Leinwand gebracht zu haben.

Denn, auch die Kunst wird, wenn sie in die Wirklichkeit eingetreten ist, ein Bestandteil von ihr. Sie wird stofflich und mit allen Sinnen, von Allen wahrnehmbar. Naturgemäß werden sich dann nicht nur Bewunderer einfinden sondern auch die Widersacher sammeln. Die Sicht auf die Realität und ihre Spiegelung in der Künsten und der Philosophie  sind ein komplexer, zusammengehörender Prozess, sie treiben die geistige Entwicklung voran. Das ist, im ureigenen Sinn, die Aufklärung, deren Zeitalter immer währt und hoffentlich niemals enden wird. Allerdings ist die Aufklärung mit dem Humanismus untrennbar verbunden, eine Entlassung oder Befreiung aus der allgemeinen Menschlichkeit ist für keinen Menschen möglich!

Ich darf nach ca. 30 Jahren Einblick in das Schaffen von Thomas Beurich mit gutem Recht sagen, in ihm haben wir einen herzlichen Menschen, einen gemütvollen und verletzlichen Künstler und in seiner Weltbetrachtung, einen eher unbestechlichen und gerechten Beobachter. Das Kunstmachen ist  bei ihm leidenschaftlich und kompromisslos aber nicht unversöhnlich. Er ist keiner, der das Poltern und Krawallmachen braucht um auf sich aufmerksam zu machen.

Gewiss, in seiner mitunter skurrilen und grotesken Bildfindung, steckt immer auch ein Hintersinn eine Unergründlichkeit, die man nie bis zum Ende zu deuten vermag. Ich erinnere mich an das Buch „Eudaimonia“, eine Publikation über das malerische  Schaffen Beurichs im Jahr 2010, als er mich bat einen Text über einige Bilder zu verfassen. Ich verbrachte damals viele Stunden in seinem Atelier. Wenn man im Laboratorium hockt, allein mit den Arbeiten, den angefangenen, den fertigen und den verworfenen, wenn man die Zeichnungen und Experimente des Kollegen betrachtet und das ganze Sammelsurium des Ateliers,  dann erkennt man den Menschen hinter den Bildern. Man bekommt ein Gefühl, wie ernst ihm die Gegenstände sind, man begreift die Substanz. Schließlich erkennt man auch die unzähligen Varianten, die zur Kunst führen können, die beim eigenen Schaffen andere Richtungen einnehmen. Das ist bereichernd und verstörend, weil die persönliche Wahrnehmung und Erfahrung geprüft wird. Eine innere Bereitschaft, also Offenheit ist demnach eine zwingende Bedingung für die Kunstrezeption. Das ist besonders schwer, wenn Vorurteile sich einmischen, der Blick sich eintrübt oder wenn einem Kunstwerk per se die Existenzberechtigung entzogen wird. Es ist bewundernswert, dass Beurich diese Arbeit zu Ende gebracht hat, obwohl die Adressaten protestieren und die Auftraggeber sich zurückgezogen haben!

Es handelt sich bei diesem Gemälde „Die Zelle“,  um eine Arbeit, in der sich Beurich zu einem aktuellen Stoff  äußert, dem 10 fachen Mord und weiteren Verbrechen eines  Trios vom Nationalsozialistischen Untergrund, NSU.

Die durch Informationsmedien veröffentlichten Namen, Daten und Fakten setze ich als bekannt voraus.

Sicherlich ist ein solcher Stoff eine ungeheure Herausforderung für einen Künstler, gerade weil  solche konkret scheinenden Ereignisse und Tatsachen immer eine sehr hohe Abstraktion fordern, eine Distanz, um nicht durch eigene emotionale Befindlichkeiten in die Abschweifung zu geraten.

Hier sollte schließlich kein Epitaph für die Opfer und keine Schlachtbank für die Täter errichtet werden. Die Schwierigkeit bei diesem Bild war insofern größer, weil Beurich sich auf den Weg machte, das Klima zu erforschen, in dem solche Auswüchse keimen können.

Die etwas spröde wirkende Komposition irritiert zunächst, weil Beurich ein Konstrukt aus realen- und Bedeutungsperspektiven entwickelt, in denen auch die Objektgrößen im Bild schwanken.  Dieses, bereits in Gemälden der Gotik oder Frührenaissance vorzufindende Kompositionsprinzip erweitert er noch zusätzlich durch wechselnde zentralperspektivische Positionen, wodurch der Boden, auf dem der Betrachter steht, unsicher  wird. Diese Komposition in ihrer unterkühlten Farbigkeit, lässt den Betrachter an keinem Punkt Ruhe finden.  Eine kleine dörfliche Idylle am linken Bildrand, eingezwängt in den Stadtraum wird keine Zuflucht sein.

Seine Allegorien, Symbole und Metaphern folgen nicht nur einem Erzählstrang, sind nicht homogen und episch, sondern sie scheinen zu springen, sich zu verlieren und an anderer Stelle wieder aufzutauchen. Dabei verknüpfen sie sich  zu immer neuen Bedeutungen, je nach der individuellen Blickfolge des Betrachters. Es gibt also eine gewollte  Gleichzeitigkeit der Ereignisse.

Auffallend ist die Einsamkeit aller Figuren, ihre Verlassenheit und Weltentfremdung.

Ein trauriges Theater mit vielen Bühnen, eine  labyrinthische Inszenierung, deren Schöpfer offenbar irgendwo, weit weg von der Handlung, die Fäden in der Hand behält.

Der Künstler jedoch spricht nicht darüber, wohl kann er uns die eine oder andere Frage zum Bild  beantworten, vielleicht kann er den Betrachter damit anregen, zu einer vollkommen eigenen Interpretation zu gelangen, mehr aber nicht.

Insofern ist er kein Geschichtenerzähler, kein Moralist.

Ich habe bei diesem Gemälde lange über das blockhafte „Nein“ im Bildmittelgrund nachgedacht. Ich meinte zu ihm, es sei doch nicht nötig, mit solchen offenkundigen Elementen aufzutreten, mit einer in der Realität oft vorgefundenen strikten Ablehnungsgeste, die an eine kindlich naive „dafür oder dagegen“ Haltung erinnert. Offengestanden frotzelte ich auch gegen diese vermeintlich vordergründigen Bauklötzer. Nach einigen Tagen dämmerte mir, dass Thomas Beurich, wahrscheinlich diese Bildstelle mit Kalkül gestaltete. Dass er womöglich auf jene Leute hinweisen möchte, die mit großer Empörung in der Öffentlichkeit auftreten, die aus den Geschehnissen heraus ihre Chance sehen, um sich selbst in Szene zu setzen. Die Empörungssemantik  lässt den Redner immer dann besonders betroffenen erscheinen, wenn er in Axiomen spricht, die sich in Beton gießen lassen, die sofort auf den Markt gestellt werden können und als Maxime gelten.

Eine polemisch aufgeblasene, Entrüstung bei schlimmen Ereignissen, wird vielfach praktiziert, nur leider schiebt sie sich wie ein Schleier, zwischen die Analyse der Vorgänge und der eigenen Erschütterung. Denn je öfter und länger mit überhitzter Sprache  Stellung genommen wird um so mehr verliert sich der klare Blick. Dieses „Zu Tode reden“ ist in unserem Land zu einer Tradition geworden. Jeder nimmt zu jeder Tatsache Stellung, um vor allem eines zu erreichen, sich selbst dabei in Position zu bringen. Diese selbstergriffene Empörung ist aber vollkommen unproduktiv sie nützt keinem wirklich, sondern schadet dem Verstand je öfter sie benutzt wird.

Es gibt leider schon Umkehrungen in der Bewertung, worin Jener, der sachlich analysiert und eben nicht mit bombastischen Wortkaskaden seine Empörung zum Ausdruck gebracht hat, in Verdacht gerät. Schließlich können wir können auch nicht vom Arzt erwarten dass er uns weinend die Diagnose vorträgt!

Das ist ein gesellschaftliches Phänomen, es zeigt die Verunsicherung, vielleicht auch Sprachlosigkeit.

Warum Zwickau, was ist los in dieser Stadt? Allein in dieser Frage verbirgt sich eine Schuldzuweisung.

Eben weil Zwickau, als Stadt, als Bürgerschaft und Gemeinwesen mit diesen Vorgängen beschmutzt wurde, weil es dort geschah. Wie sie sehen, ist der Stadt ein Unglück passiert. Kein gewissenhaft denkender und fühlender Mensch, auch nicht Thomas Beurich der Maler, würde im Entferntesten  auf die Idee kommen, vorwurfsvoll den Zeigefinger zu heben um zu sagen: schämt Euch!

Denn dann hätten wir kaum noch Städte in der Republik,  die vom Vorwurf frei gesprochen werden könnten! Und in sofern warne ich vor dem Wort: „Terrorzelle“ eben weil es als Begriff scheinbar diese Verbrechen in einen kleinen Rahmen steckt, in ein nur einmalig auftretendes Ereignis!

Die Liste von Verbrechen aus der Neonazi-Szene ist lang, unvergessen werden die Vorgänge von Rostock-Lichtenhagen bleiben, oder von Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Dresden, Chemnitz usw.

Die sich formierenden Neonazi-Szenen auf Fußballplätzen, in Wohngebieten,  in Dörfern, in Unterführungen oder an Tankstellen etc. alles das gehört doch dazu.

Mit diesem Bild wird also nicht die Stadt Zwickau beschädigt, es ist ein genereller Aufschrei, ein Kunstwerk und es ist das erste, welches in dieser Deutlichkeit reagiert.

Das Montageprinzip in der Malerei von Thomas Beurich, ist seine künstlerische Ausdrucksform, sein Stil. Die Instabilität aller Dinge und Prozesse, das fragile Balancieren, die Vereinzelung jeder Figur im Bild vor der beschädigten Stadt, das  alles sind künstlerische Ausdrucksformen, die keinen analogen Bezug zu Zwickau aufnehmen, sondern einen künstlich urbanen Stadtraum schaffen, eine fiktive Untergangswelt.

Wir sitzen alle im Glashaus und ob wir es wollen oder nicht, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Vorgänge im Land zunehmen.  Wir müssen auch auf unserer Sprache achtgeben, wenn wir das Wort ‚Migrationshintergrund‘ aussprechen. Solche Vokabeln, mögen sie korrekt sein oder nicht, sollten wir nicht in den Mund nehmen. Sie entbehren eines menschlich warmen Charakters, sie klingen distanziert und riechen nach Desinfektionsmittel. Auch „deutsche Leitkultur“ ist ein vergiftetes Wort, es trägt einen gefährlichen Alleinstellungsanspruch in sich. Vielleicht sollten wir vor der eigenen Tür kehren, bevor wir den Zeigfinger ausstrecken, bevor wir mit dem deutschen Reinheitsgebot oder den deutschen Tugenden hausieren gehen.

Die beiden wiedervereinten Teile Deutschlands hatten in ihrer Trennungszeit, trotz der gemeinsamen Historie, jeweils eigene Kulturen entwickelt, sie hatten beide eine eigene Geschichtsschreibung die natürlich bei der Wiedervereinigung aufeinander prallte. Die unterschiedliche Sichtweise auf die NS-Vergangenheit, auf die beiden Weltkriege und die daraus abgeleiteten historischen Lehren schuf auf beiden Seiten einen verschiedenen Umgang mit Nazi-Kriegsverbrechern. Diese Praxis wirkt heute noch nach und in den älteren Jahrgängen haben sich in Ost und West verschiedene Toleranzen dieser Vergangenheit gegenüber entwickelt. Wir müssen als Gesellschaft immer noch lernen, auch nach nunmehr über 22 Jahren eines neuen Zusammenlebens, gemeinsame Werte zu entwickeln. Vor allem sollten wir das Zusammenleben nach ethischen und moralischen Grundsätzen entpolitisieren und vom Gezänk der Ideologien befreien. Die neue Ethik scheint sich vorrangig über den Erfolg der Volkswirtschaft zu definieren. So sind wir einerseits Wegbereiter des vereinten Europa und andererseits der härteste Konkurrent. Diese sicherlich ungewollte Entwicklung zog auch ein Neo-liberales Bewusstsein nach sich, den Spagat zwischen Nationalstolz und europäischen Gemeinschaftsgefühl!

Im Bewusstsein der Deutschen entstand durch diese Entwicklung eine defizitäre Gemütslage. Ein Zustand der nicht allein mit Mangelhaftigkeit an Bildung oder Information zu erklären ist, sondern scheinbar auf die traditionellen deutschen Tugenden zurückgeht, in denen Fleiß, Disziplin, Korpsgeist, Rechtschaffenheit, Sauberkeit usw. ihre Rolle spielen. Solche Kategorien, wenn sie als Alleinstellungsmerkmal missbraucht werden, schaffen in den Köpfen Raum für neue Tugendwächter. Hier öffnen sich die Türen für Neo-Nazitheorien, wobei die Grenzen zwischen den allgemeinen menschlichen Lehren, dem Humanismus und der ideologisch verbrämten Heilslehre fließend sind.

Andererseits haben sich auch im Vergleich zwischen den Erfolgsmeldungen der Wirtschaft und dem sozialen Erleben der Bevölkerung enorme Missverhältnisse  gebildet. Diese Klüfte werden ebenso schnell und griffig durch nationalgeprägte Fanatiker geschlossen.

So möchte ich nochmals auf die eingangs meiner Ansprache geäußerte These zurückkommen, dass wir alle, die wir von diesen Dingen entsetzt sind, die Aufgabe, ja die Pflicht haben uns zu Bilden und damit die Aufklärung weiter voran zu treiben. Das wir nicht nur uns selbst und unseren Familien, Freunden und Bekannten diese Aufgabe abverlangen, sondern sie als Gemeinschaftsgut in die Gesellschaft tragen und von ihr fordern!

Bevor ich nun zum Ende komme, lassen sie mich bitte noch einmal einen Blick auf das Gemälde von Thomas Beurich werfen.

In dieser, seiner Bildwelt hat er uns mitgeteilt, wie die Ereignisse auf ihn wirken, welche Sicht er hat.

Nehmen wir doch dieses Kunstwerk als Anlass, endlich miteinander zu reden und Unfassbares zu fassen, vielleicht gelingt es ja diesem Bild, eine Kommunikation zu schaffen, die außerhalb kleinlicher Bedenken liegen, die nicht durch eine Zensur und deren Gefolgschaft von geäußertem Unverständnis verhindert werden. Wir brauchen als Gesellschaft solche Gespräche genauso, wie die Menschenkette in Dresden, wenn wir zum Gedenken an den 13. Februar auf die Straße gehen…

Man könnte auch dem Künstler die Hand reichen, er hat doch ein Werk geschaffen! Und sollte man nicht zwingend mit ihm sprechen, als über ihn?

Denn, wer meine sehr verehrten Damen und Herren, profitiert denn letztendlich aus einem unfairen Streit, der alle Beteiligten am Ende wie Esel aussehen lässt,  wer wird wohl zu letzt darüber lachen?

In diesem Sinne wünsche ich dem Gemälde „Die Zelle“ Erfolg und allen Versammelten ein freundliches Miteinander!

Alexander Neumann

Maler, Grafiker und Autor aus Dresden

https://www.bild.de/regional/chemnitz/nsu/kuenstler-malt-terror-bild-fuer-zwickau-27066216.bild.html

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